Wie funktionieren Lawinenrucksäcke: Überblick aller Airbag Systeme

Bluebird, frisch verschneite und unverspurte Hänge – Freeride- und Skitouren geben uns Freiheit und Kreativität. Schroffe, karge und felsige Bergwelten verwandeln sich im Winter mit entsprechender Schneemenge in traumhafte Spielplätze für Ski und Snowboards.

 

Der Spaß und die Faszination am Fahren abseits befestigter Pisten führt zu einem enormen Zulauf und erfreut sich großer Beliebtheit, birgt jedoch erhebliche Gefahren. Um diese Risiken zu minimieren, ist die Lawinen-Schutzausrüstung bestehend aus Ortungsgeräten, Schaufeln und Sonden sowie Airbag-Rucksäcken fester Bestandteil des Equipments.  

 

Mit diesem Blog Beitrag verschaffen wir dir einen Überblick über die Funktionsweisen und Unterschiede der aktuellen Airbag-Systeme.    


 

Übersicht: 

   Der Paranusseffekt: Funktionsweise eines Airbag-Systems

   Kartusche, Batterie oder Superkondensator mit elektrischem Kompressor?

 

Airbag-Systeme im Detail:

   Reactor – Lawinen Airbag System von Arva
   JetForce  – Black Diamond und Pieps
   ABS –  Avalanche Balloon Secutem 
   P.A.S & R.A.S – Mammut
   Avabag – Ortovox 
   Litric – Ortovox und Arcteryx
   Alpride – Scott, Backcountry Access, Black Diamond


 

Der Paranusseffekt: Funktionsweise eines Airbag-Systems

 

Die Funktion des Lawinenrucksackes lässt sich mit dem sogenannten Paranusseffekt erklären: Großvolumige Körper mit geringer Dichte generieren im Umfeld von kleinen Körpern mit hoher Dichte einen Auftrieb. So sorgt auch ein Airbag im ausgelösten Zustand für ein großes Volumen mit geringer Dichte, welches in einer Lawine für einn Auftrieb sorgt. „The effectiveness of avalanche airbags“ eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigt, das ein Lawinenrucksack bei optimaler Auslösung die Überlebenswahrscheinlichkeit erhöht. Die Wahrscheinlichkeit kritisch verschüttet zu werden, liegt ohne Airbag bei 47 Prozent und mit Airbag bei 20 Prozent.  

 

Lawinenrucksäcke sind daher „nur“ eine zusätzliche Risikoreduktion und keine absolute Garantie gegen Verschüttungen. Airbag-Systeme erweitern die Grundausstattung von Ortungsgerät, Schaufel und Sonde und sollten auf keinen Fall nur in alleiniger Verwendung eingesetzt werden. Neben der gesamten Lawinenausrüstung gelten Helme und Protektoren als wesentliche Bestandteile einer sicheren Ausrüstung. Zudem ersetzen Airbag-Systeme nicht die Geländekenntnis, das Verständnis von Wetter- und Schneebedingungen oder die Rettungseffizienz einer Gruppe.

 

Lawinenrucksäcke können für die verschiedensten Arten des Skifahrens, Skitourengehens, Splitboardens genutzt werden. Ebenso für Freeride-, Gelände-, Hochalpin-, Heli- oder Cattouren, Ein-Tages- oder Mehr-Tages-Touren. Abhängig davon, was du vor hast, solltest du den richtigen Rucksack mit passendem Stauraum und System wählen.

 

Wenn du dir nicht sicher bist, welche Ausrüstung du immer dabei haben solltest, dann sieh dir unseren Guide rund um das Thema: Sicher mit der richtigen Lawinenausrüstung an. Dort erhältst du alle wichtigen Informationen!
 

 


Kartusche, Batterie oder Superkondensator mit elektischem Kompressor?  

 

Zugegeben, als wir das erste Mal „Superkondensator“ gelesen haben, dachten wir auch zuerst an Zurück in die Zukunft. Genau so wie es verschiedene Hersteller im Segment Lawinenrucksäcke gibt, genauso existieren diverse Airbag-Systeme, welche sich nicht nur im Gewicht und im Preisniveau unterscheiden, sondern wesentliche bautechnische Merkmale aufweisen. In den nachfolgenden Kapiteln gehen wir auf System-Level von der Luftkammer bis zum Auslösegriff ins Detail. 

 

Grundsätzlich beschreibt ein Airbag-System die eigentliche Auslöseeinheit mit Griff, Anlenkung, Kartusche bzw. Akku mit Gebläse und Airbag. Diese Systeme basieren nicht alle auf Marken-Nivau, sondern werden unabhängig verbaut, wie beispielsweise das LiTRIC Airbag-System bei Ortovox und Arcteryx. Oder das Alpride-System bei Scott, Backcountry Access und Deuter. Entscheidend bei der richtigen Wahl ist der Einsatzbereich und das Restpackvolumen im Rucksack sowie die Möglichkeit, Zip-Ons zu verwenden.

 

Airbag-Systeme auf Kartuschen-Basis werden seit der ersten Stunde verbaut. Der Befüllvorgang des Airbags erfolgt durch das Öffnen bzw. Anstechen einer mit Druckluft oder Gas befüllten Kartusche. Bei Systemen auf Gebläsebasis wird der Airbag durch ein Hochgeschwindigkeitskompressor befüllt, welcher durch Batterien, einer Akkueinheit oder Superkondensatoren betrieben wird. Die dabei verwendeten Auslöseeinheiten reichen von pyrotechnischen- hinzu einfachen Bowden-Anlenkungen. Alle Systeme werden unter Extrembedingungen geprüft und getestet, sodass im Ernstfall die Funktion gewährleistet ist. 

 

Elektronisch betriebene System weisen aufgrund der Airbag Befüllung wesentliche Vorteile in der Benutzerfreundlichkeit sowie der Wartung und Prüfung auf.  Nach einer Auslösung muss keine Kartusche gewechselt oder wiederbefüllt werden. Damit kann der Funktionscheck des Systems und die Prüfung des Airbags schnell und einfach durchgeführt werden. Dieser Mehrwert resultiert allerdings in einem deutlichen Preisunterschied zu Kartuschen-Airbag-Systemen. 

 

Ein weiterer Vorteil von elektrischen Systemen ist die uneingeschränkte Transportmöglichkeit bei Flugreisen. Gasdruck-Systeme unterliegen hierbei strengen Sicherheitsauflagen. Um dir mit diesem Thema zu helfen, haben wir einen kompletten Blog Post dem Transport von Lawinenrucksäcken mit dem Flugzeug gewidmet. Dort findest Du alle Informationen und Dokumente, die Du brauchst, um Deine  Lawinensicherheitsausrüstung problemlos befördern zu können.

 

Für die Prüfung beider Systeme sollte vor Saisonstart immer eine scharfe Auslösung (Testauslösung) gemacht werden, damit können mögliche Risse oder Fehler im System gefunden werden. Weitere Informationen, Wartungs- sowie Gefahrenhinweise finden sich in den Gebrauchsanleitungen der Hersteller. 

 


Airbag-Systeme im Detail:

 

Reactor– Lawinen Airbag System von Arva


Arva Lawinen Rucksäcke
sind mit dem Reactor System, einem von Arva  entwickelten 2-Kammer-System ausgestattet. Dieses kompakte System besteht aus einem Doppelairbag mit 2 x 75 Liter Volumen sowie einem Dual-Inflationssystem und kommt auf ein Gesamtgewicht von ca. 680 Gramm. 

 

Die 2-Kammerkonstruktion des Airbags bietet zwei baugleiche Seiten, welche sich unabhängig voneinander füllen und die Sicherheit trotz eines Defekts gewährleisten. Die Auslösung erfolgt durch den T-Griff, welcher über einen Bowdenzug mit dem internen Auslösemechanismus verbunden ist. Der Airbag wird über die Rucksackoberseite ausgeleitet und erweitert im befüllten Zustand das gesamte Oberkörpervolumen von der Taille bis über den Kopf. Zusätzlich befindet sich mittig zwischen den Luftkammern ein Shock-Absorber zum Schutz des Hinterkopfes.

 

Kompatible Arva-Kartuschen sind in einer leichten Carbon- als auch in einer Stahlausführung erhältlich, können allerdings nur vom Hersteller wiederbefüllt werden. 

 

 


 


JetForce – Black Diamond und Pieps

 

Das JetForce-System arbeitet mit einem batteriebetriebenen Düsengebläse, welches den 200 Liter Airbag in 3,5 Sekunden befüllt. Der Airbag kann getestet und neu verpackt werden. Selbstdiagnose LEDs zeigen bei Systemstart alle notwendigen Informationen an. Mit dem Lithium-Polymer-Akku bietet das JetForce-System eine kompakte, wiederaufladbare und reisefreundliche und Lösung. Die Kapazität des Akkus unterstützt 4 oder mehr Auslösungen pro Ladung. 

 

Nach der Auslösung und Komplettbefüllung des Airbags wird dieser noch drei weitere Minuten mit Luft versorgt um möglichen Druckverlust zu reduzieren. Anschließend entleert sich der Airbag wieder, um Hohlräume mit Sauerstoff im Falle einer Verschüttung zu erzeugen. 

 

Die Airbag-Modelle von Black Diamond bieten die ganze Bandbreite von 15 bis 35 L-Volumen für Freerider und Skitourengeher –  genauso wie die Pieps Modelle.

 

 


ABS – Avalanche Balloon Secutem

 

ABS, Pionier der Airbag-Systeme, stattet seine Rucksäcke mit dem TwinBag Airbag System aus, welches beidseitig ausgegeben wird. Die Airbags füllen sich mit 2 x 85 Liter unabhängig voneinander. Die ABS-Kartusche wird durch eine Anstecheinheit ausgelöst, wodurch das intere Gas in den TwinBags freigelassen wird. ABS-Kartuschen sind sowohl in Stahl wie auch in Carbon erhältlich, allerdings nicht selbst wieder befüllbar. 

 

Bei ABS-Pyrotech Auslöseeinheiten sorgt eine im T-Griff verbaute explosive Patrone bei Betätigung für eine Druckwelle, welche die Kartusche im Rucksack ansticht und die Airbags befüllt. Dieses System ist extrem zuverlässig und temperaturunabhängig, bedarf jedoch nach einer Auslösung den Tausch von Griff und Kartusche.  Rucksäcke mit ABS-Easytech Auslöseeinheit kommen ohne Patrone und lösen über eine interne Anstecheinheit aus, hier muss nur die Kartusche getauscht werden. 

 

 

 


P.A.S & R.A.S – Mammut

 

Mammut stattet seine Lawinenrucksäcke je nach Modell mit zwei unterschiedlichen Airbag-Systemen aus. Das Mammut Protection Airbag System (P.A.S.) ist eines davon. Dieses System besitzt einen 3D geformten Airbag, welcher aus robustem, reißfestem Nylon gefertigt ist und dazu entwickelt wurde, so viel Schutz wie möglich zu bieten. Der P.A.S. Airbag löst um den Kopf, Nacken und Brust aus und bietet dadurch zusätzlichen Schutz vor Verletzungen. Der Protection Airbag 3.0 wird nur im Mammut Pro verbaut.

 

Der Hauptunterschied zwischen R.A.S. und P.A.S.  ist die Positionierung des Airbags im befüllten Zustand. Zur Wintersaison 2022/23 wurde der Großteil der Mammut Rucksäcke mit Removeable Airbag 3.0 Systemen ausgestattet. Der Airbag befindet sich nach der Auslösung hinter Kopf und Oberkörper. Das gesamte Airbag-System mit Carbonkartusche kommt auf ein Gewicht von 1,5 kg.

 

 

mammut-pas-ras-airbagsysteme

 

Beide Systeme basieren auf einer Gasdruck-Befüllung, angesteuert durch einen Bowdenzug mit T-Griff. Die Kartuschen sind mittlerweile nur noch in Carbon erhältlich, allerdings nicht selbst widerbefüllbar. Solltest du noch eine Stahlkartusche haben, setzt dich einfach mit unserem Support in Verbindung. 

 


Avabag – Ortovox

 

Das Ortovox Avabag-System ist seit Winter 2016 auf dem Markt vertreten und bietet mit der Gasdruck-Ausführung mit 690 Gramm (ohne Kartusche) eine sehr leichte Alternative mit geringem Packmaß. Die Auslösung erfolgt mechanisch über einen T-Griff und eine robuste, geschlossene Einheit. Die Kartusche muss nach jeder scharfen Auslösung getauscht werden. Ohne eingeschraubte Kartusche kann die Auslösung beliebig oft geübt werden. 

 

 

 


Litric – Ortovox & Arcteryx

 

Das in Kooperation von Ortovox und Arcteryx entwicklete Litric System ist eine superkondensatorbetriebene Gebläsefüllung, und damit eine elektrische Alternative zu Ortovox Avabag-Modellen. Bei Ortovox Litric-Systemen sind je nach Rucksackmodell verschiedene Zip-Ons erhältlich, um für jeden Einsatzbereich das passende Transportvolumen zu bieten. 

 

Das System wird über USB-C in nur 25 Minuten geladen und verfügt über eine Kapazität, welche Energie für zwei Auslösungen bereitstellt. Testauslösungen sind ohne weiteres möglich und eine LED-Anzeige informiert über den Systemstatus. Dieses Lawinenrucksack System wir zur Winteraison 2023/2024 auf dem Markt kommen.

 

 

 


 


Alpride – Scott, Backcountry Access, Deuter

 

Die Alpride Airbag-Systeme sind in drei Ausführungen im Einsatz. Bei Airbag-Rucksäcken, die ein geringes Gewicht aufweisen, wird das Gasdrucksystem „Alpride System 2.0“ eingesetzt. Ab Alpride E1 und E2 füllt ein superkondensatorbetriebene Hochleistungsgebläse den Airbag.  

 

Das mechanische Gadruck-System 2.0 kommt auf ein Gewicht von 690 Gramm und ein Nutzvolumen im Rucksack von 1,7 Liter. Beim 150 Gramm schwereren Alpride E1 arbeitet ein Radialverdichter, der durch Superkondensatoren betrieben wird.  Dieses System bietet eine Mehrfachauslösung ohne den Austausch von Kartuschen und wird in nur 20 Minuten über Micro-USB aufgeladen. Alternativ können zwei AA-Batterien eingesetzt werden, um die Kondensatoren unterwegs zu laden. Eine LED-Statusanzeige informiert über den Systemzustand. 

 

Die verbauten Superkondensatoren haben den Vorteil gegenüber Lithium-Ionen oder Poly-Batterien, dass sie elektrische Energie ohne chemische Reaktion speichern. Damit wirken sich niedrige Temperaturen nicht auf ihre Leistungsfreigabe aus. Zudem sind Superkondensatoren leichter als herkömmliche Batterien.

 

Scott verbaut bei allen Lawinenrucksäcken E1 Alpride-Systeme sowie zur Saison 2023 E2-Systeme, beim Blackdiamond Jetforce Tour 26 findet auch das E1-System Platz. Auch Deuter und Backcounty Access greift auf Alpride zurück, und setzen ebenfalls auf das E2-System, welches noch mal um 40 Prozent kleiner und 25 Prozent leichter ist zur E1-Version.  

 

 

 


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